Philippa Gregory – Die Schwester der Königin
Originaltitel: The Other Boleyn Girl
Meine Bewertung: 10/10
Ein oder zweimal im Jahr überzeugt mich ein Roman absolut und erscheint mir dann perfekt, ich kann dann also nicht viel sagen und gebe ihm dann gerne eine „10“. Dieser hier gehört sicherlich dazu.
(Mir ist aufgefallen, dass ich diese gute Bewertung besonders bei historischen Romanen gebe; das liegt sicherlich an meiner Bewunderung gegenüber der Kunst geschickt die fiktive Romanhandlung mit dem tatsächlichen und belegten historischen Hergang zu vereinen)
Diesen Roman fand ich wirklich fan-tas-tisch!
Ich hatte schon von ihm gehört aber seine Lektüre immer wieder vor mir hergeschoben, bis er mir dann erneut ans Herz gelegt wurde (danke Sylvie!). Und es hat sich wirklich gelohnt!
„Die Schwester der Königin“ taucht uns in die doch sehr eigentümliche Welt des königlichen Hofs im XVIten Jahrhunderts, unter Henri VIII, und ermöglicht es uns einen Blick hinter die Kulissen zu werfen.
Henry den VIII, den ich nur durch die vielen Romane kannte, das war für mich dieser dickleibige, ja sogar fette König mit seinem ewig eiternden Bein, welches vor sich hin faulte und schlecht roch, dieser König, der sich seiner Königinnen entledigte wenn es ihm gerade besser passte.
Hier konnte ich ihn also einmal kennenlernen bevor er dieser König mit den vielen Frauen wurde, als er noch jung war. Doch auch ein König altert und verändert sich…
Diese Geschichte wird uns von Mary Boleyn erzählt:
Mary Boleyn, das ist „die Schwester“ von Anne Boleyn, derjenigen, die die zweite Konigin an Henrys Seite war. Mary war mir unbekannt, aber es beginnt hier alles mit ihr:
Sie ist noch sehr jung, mit ihren zwölf Jahren, als sie mit William Carey verheiratet und zu Hof vorgestellt wird, wo der König selbst sie dann bemerkt. Mary ist erst vierzehn als ihre Familie sie ins Bette Henry VIIIten drängt; sie wird tatsächlich seine Geliebte und schenkt ihm auch zwei uneheliche Kinder während die Königin Catherin verzweifelt versucht einen männlichen Nachfolger zu gebären.
Als der König nun beginnt, Mary überdrüssig zu werden verführt ihn deren ältere Schwester, Anne Boleyn, die ebenfalls von ihrer Familie dabei unterstützt wird.
Doch Anne ist ehrgeiziger als ihre Schwester und wird sich nicht mit dem Status einer simplen Mätresse zufrieden geben. Anne Boleyn will den Thron. Sie möchte die Königin loswerden um deren Platz einzunehmen!
Mit diesem Ziek vor Augen wird sie manipulieren wo sie kann, das Glück ihrer Schwester zerstören, die Königin in die härtesten Situationen bringen und sich selbst mit der Verführung des Königs verausgaben, den sie in ihr Netz ziehen und hier auch festhalten möchte. Das Spiel ist gefährlich, doch der zu erringende Preis einzigartig.
Die Geschichte sagt es uns, sie schafft es: Anne heiratet König Henry und wird an seiner Seite zur Königin gekrönt.
Doch es reicht nicht aus, den Thron zu besteigen – der Druck eines männlichen Erben ruht nun auf ihr … und hat sie nicht selbst Henry gezeigt, dass keine Königin unwiderruflich Königin ist?
Eine unglaublich spannende Lektüre !
Die Geschichte (die historische Geschichte) kennen Sie sicherlich schon.
Aber was an diesem Roman so mitreißt, das ist sicher der Blickwinkel, mit dem er uns erzählt wird, denn wir haben den Eindruck am Hof selbst zu wohnen, die Gänge des Palastes entlangzulaufen, die verschiedenen Figuren aufsteigen und abstürzen zu sehen (man darf dabei natürlich nicht vergessen, dass es sich hier um einen Roman handelt, auch wenn er historisch ist – aber er bleibt sehr glaubhaft).
Wir leben und zittern mit Mary, die sich als kleines Mädchen in den großen und gut aussehenden Prinzen Henry verliebt hat (damals wog er sicher weniger und hatte noch kein eiterndes Furunkel am Bein). Trotz ihrer Vorbehalte und der Eifersucht ihrer Schwester lässt sie sich gerne in die Arme des Monarchen schieben.
Mary ist trotz allem unschuldig und naiv, sie leidet aus tiefstem Herzen als man sie bittet zurückzutreten und ihrer Schwester Anne ihren Platz zu überlassen, welche als arroganter, zielstrebiger und ehrgeiziger beschrieben wird.
Wir verfolgen die Spiele der Kurtisanen, die Verstellungen, die Manipulationen und die Verrate, wir begreifen dass der Neid der Hofdamen oder zwischen den Familien, die den König umgeben, unglaublich gefährlich und auch brutal war. Das Kurtisanen-Leben war sehr viel anstrengender als man es sich vorstellen mag.
So zögert die Boleyn-Familie, die Anne bis zum Thron bringt, nicht ihre Kinder zu opfern um ihre Ziele zu erreichen. Mary die zentrale Romanfigur, die einst die Favoritin des Königs war, muss zurücktreten ohne sich zu beschweren, ihr Glück vergessen und aufgeben, sie muss auf alles verzichten was ihr wertvoll ist und niemand wird ihr dafür danken.
Das Spielchen, welches Anne Boleyn mit dem König spielt um ihn zu verfÜhren wird durch die Augen ihrer Schwester beobachtet, die sofort jede Falschheit im Verhalten Anns erkennt, wie auch deren Schwächen. Sie kann daher aber auch die Bemühungen und Opfer einschätzen, die ihre Schwester hier mit einsetzt. Die Kraft, die Mary aufbringt um ihre Schwester zu unterstützen, nachdem diese ihr alles genommen hat ist wirklich beeindruckend und auch glaubhaft geschildert.
Als ich Anne Boleyn so durch die Augen ihrer kleinen Schwester beobachtete hatte ich dieselben Gefühle wie diese: Ich hasste sie dafür, dass sie Marys Platz einnahm (und den der Königin), sie in den Schatten zurückstieß, schamlos auf den Leichen der Kurtisanen und sogar ihrer eigenen Familie tanzte, aber ich bedauerte sie auch für alle die Opfer, die sie brachte und all ihre Mühsalen die sie bis zum Ende auf sich nahm.
Der Roman beschreibt rund fünfzehn Jahre auf über 660 Seiten (im Taschenbuchformat). Als ich also diesen Roman öffnete, befürchtete ich schon mich teilweise sehr zu langweilen.
Doch nein. In keinem Moment. Die Spannung ist omnipräsent, diese kleinen Boshaftigkeiten, die hinterlistigen Fallen der Kurtisanen, die unendlichen Kräfte die dafür eingelegt wurden, um die höchste Sprosse zu erklimmen, die politischen Strategien, all das wird so flüssig und lebhaft beschrieben, dass man die Seiten wendet und wendet ohne sich zu unterbrechen.
Ein großartiges Zeitbild, welches Sie fast lesen müssen!
Der Schreibstil ist dem Roman perfekt angepasst. Die einzig „negative“ Bemerkung die ich hier formulieren könnte ist eigentlich lächerlich: Mir sind ein paar, recht nebensächliche, Wiederholungen aufgefallen (z.B. Ausdrücke die zweimal benutzt wurden, wie der Vergleich einer Person die hin und hergeht mit den Löwen die Mary im Tower beobachtet hatte).
Tatsächlich habe ich eigentlich nur den französischen Titel zu bemängeln (dies betrifft also nicht einmal die deutsche Version!) – Hier heißt der Roman „Deux Soeurs pour un roi“, d.h. „Zwei Schwestern für einen König“, was mehr an einen Roman für Jugendliche oder junge Erwachsene erinnert. Das ist schade, besonders da der Originaltitel (The other Boleyn Girl) sich wie ein Leitfaden durch den ganzen Roman schlängelt und leicht zu übersetzen ist. Erstaunlich, da die französische Übersetzerin ansonsten wirklich eine gute Arbeit geleistet hat.
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Zu guter Letzt möchte ich erwähnen, dass dieses Buch zu einer „Reihe“ gehört, die der „Tudor“, doch jeder Roman ist ein vollständiges und alleinstehendes Buch, unabhängig von den anderen.
In der Tudor-Reihe sind erhältlich (die Reihenfolge der Erscheinung entspricht nicht dem chronologisch-historischen Ablauf):
Die Schwester der Königin (The other Boleyn Girl)
Die Hofnärrin (The Queen’s Fool)
Der Geliebte der Königin (The Virgin’s Lover)
Die ewige Prinzessin (The Constant princess)
Das Erbe der Königin (The Boleyn Inheritance)
The Other Queen (nicht auf Deutsch erhältlich)
Sollten Sie sich an die historische Reihenfolge halten wollen, so sollten Sie diese Bücher in folgender Reihenfolge lesen :
The Constant Princess/Die ewige Prinzessin
The Other Boleyn Girl/Die Schwester der Königin
The Boleyn Inheritance/Das Erbe der Königin
The Queen’s Fool/Die Hofnärrin
The Virgin’s Lover/Der Geliebte der Königin
The Other Queen
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