Frédéric Lenoir – Das Orakel der Heilerin
Originaltitel: L’oracle della Luna
Meine Bewertung: 7/10
Dieses Buch – das ich erst einmal in die Rubrik „Allgemeine Literatur“ eingeteilt habe, und nicht in die der „historischen Romane“, da ich denke dass seine Essenz selbst weniger die Welt des XVIten Jahrhunderts ist, als der innere Werdegang des jungen Romanhelden – der sehr mysteriös ist, ein bisschen wie der Originaltitel (den ich sehr gelungen finde).
In diesem Roman verfolgen wir Giovanni, einen jungen Bauernsohn, dessen Leben in dem Moment vollkommen durcheinandergebracht wird, in dem er den Elenas kreuzt: Eine Gruppe Adeliger aus Venedig durchqueren das Dorf in dem Giovanni mit seinen Eltern und seinem Bruder lebt, und unter ihnen befindet sich auch Elena, ein junges, unglaublich schönes Mädchen in das er sich auf den ersten Blick unsterblich verliebt. Doch handelt es sich um die Tochter des Dogen, und jeder Traum einer gemeinsamen Zukunft ist daher reine Utopie. Als Giovanni dennoch versucht sich ihr zu nähern, wird er öffentlich gegeißelt! Und Elena verschwindet mit ihrem Hofstaat um nach Venedig zurückzukehren.
Trotz all der Hürden die es zu bezwingen gilt bricht Giovanni auf um nach Elena zu suchen und schwört sich, dieser dann in günstigeren Umständen gegenüberzutreten um ihr Herz berühren zu können. Auf dem Weg, der ihn nach Venedig führen soll, begegnet er Lucius, einem Philosophen und Astrologen bei dem er mehrere Jahre bleiben wird um von diesem unterrichtet zu werden und so von ihm zu lernen bevor er wieder zu seiner Liebe aufbricht.
Nach dieser langen Ausbildung nimmt er seine Reise wieder auf, eine abenteuerliche und spannende Reise, die ihn nach Algier, auf den Berg Athos, nach Venedig, Jerusalem und an viele andere Orte führen wird.
Nachdem Giovanni der Schüler eines Philosophen und Astrologen war, wird er selbst Astrologe, dann Mönch, Eremit, Sklave und vieles andere. Er wird wirkliche Hoffnungslosigkeit erleben wie auch überschwängliche Freude, er wird die schönen und die schrecklichen Seiten des Lebens kennenlernen.
Doch dieser Roman ist nicht die Geschichte der Abenteuer des Giovanni. Nein, es handelt sich eher um den inneren Werdegang eines Mannes der sich selbst entdeckt.
Während er so unterwegs ist, wird er viele Bekanntschaften machen, die seine Weltansicht, noch mehr aber seine Eigenwahrnehmung, zutiefst verändern werden. Er wird sich selbst entdecken, seinen Glauben, seine Zweifel, seine Ängste, seinen Zorn wie auch seine Liebe begreifen. Es ist diese innere Entwicklung die wir verfolgen.
Um in meinem Kommentar logisch zu sein, werde ich ihnen meine Meinung zu verschiedenen Aspekten des Buches darlegen, einerseits zu dem „philosophischen“ Aspekt – selbstverständlich meine ich hier jetzt auf keinen Fall den Hintergrund und das philosophische Begreifen, dazu bin ich nicht fähig und kann mir das natürlich nicht in der geringsten Weise erlauben. Da könnte ich genauso gut die Relativitätstheorie beanstanden und kommentieren. Nein, ich werde mich natürlich darauf beschränken Ihnen mitzuteilen wie ich selbst diesen Aspekt des Buches empfunden habe.
Danach werde ich mich mit dem „Plot“ des Romans auseinandersetzten um dann mit meiner Meinung zu der „Liebesgeschichte“ zu enden.
Alles in allem kann ich Ihnen so– hoffentlich – einen ersten Eindruck zu vermitteln.
- Ein „philosophisches/mystisches/und noch viel mehr“-Buch
Ich werde hier eine Parallele ziehen, die einzig und alleine dazu gedacht ist den Aufbau des Buches zu erklären: Die Begegnungen des Giovani im Laufe seines Lebens und der verschiedenen Etappen seines Weges, welche es ihm jedes Mal ermöglichen sein Wissen zu vertiefen oder mit dem Finger eine Wahrheit zu berühren, haben mich ein wenig an die Begegnungen des „kleinen Prinzen“ von saint-Exupery erinnert, der von Planet zu Planet reist um sich seiner eigenen Wahrheit, dem Verständnis der Liebe die er für seine kleine Rose empfindet, zu nähern.
Achtung, hier ist keinerlei Ähnlichkeit zwischen den beiden Büchern zu finden, und dennoch musste ich durch die Reise des Giovannis, durch seine Etappen und seine Entwicklung, daran denken.
Als Giovanni sein Geburtsdorf verlässt ist er neugierig, aber unwissend, und er kann erst nach seiner ersten Begegnung mit einem Gelehrten mit seiner Bildung beginnen. Und auf dieser Basis bauen sich seine weiteren Erfahrungen und Gedanken auf, sei es nun durch philosophische, mystische, religiöse oder astrologische Diskussionen…
Die Entwicklung der Diskussionen des Giovanni ist sehr logisch, sie bauen sich auf wie bei einem Pyramidenbau; das Wissen kommt zu Giovanni in dem Moment in dem er zu dessen Aufnahme bereit ist und wird ihn dann sein Leben lang begleiten.
Die Gedanken, die in diesem Roman ausgedrückt werden, scheinen universal. Egal, wer diese auch vorstellt, sei es ein Weiser, ein Mönch, Pascha, Rabbi, egal welcher Religion oder welchem philosophischen Zweig derjenige auch angehören ach, all diese Ideen scheine zu einem Gesamtwerk beizutragen, welches sich über alle Unterschiede erhebt. Der Gipfel der Pyramide, wenn man so will, zu dem all diese neuen Kenntnisse unsern Romanhelden Giovannie führen.
Dieser Roman, der von einem Schriftsteller verfasst wurde, der auch ein Philosoph ist, ermöglicht es uns einige Konzepte, manche Mystik oder auch nur manche Ideen zu erfassen, indem wir einfach Giovanni auf seinem Weg folgen.
Ich muss zugeben, dass ich sehr viele Schwierigkeiten mit der Bewertung dieses Romans hatte, ganz einfach weil ich manchmal richtig mitgerissen wurde und das Buch nicht aus der Hand legen konnte, weil ich von den Ideen und Bildern die mir von dem Autor vorgestellt wurden begeistert war, doch direkt danach folgte ein Kapitel das kaum mein Interesse wecken konnte und mir eher Lust gab, die nächsten Seiten nur rasch zu überfliegen.
Manche Überlegungen haben mich beeindruckt oder berührt; ich werde hier nur ein einziges Beispiel geben, den Ausschnitt, den ich auf die Schnelle (also mehr durch Zufall) wiederfinden konnte: Giovanni begegnet einem religiösen Mann, der von seinem Leben erzählt, von den Proben auf die das Leben uns stellt und er fordert ihn auf seinem Schicksal zu vertrauen und sein Leben zu akzeptieren. Er bietet dem jungen Romanhelden folgendes Bild an um den Weg des Lebens zu beschreiben (die Übersetzung ist von mir, ich habe das Buch im Original gelesen, es kann also gut sein, dass die deutsche Fassung etwas abweicht, aber sinngemäß müsste das passen):
„Jeder durchquert sein eigenes Leben, bearbeitet den Stoff von innen, sieht nur seinen Stichpunkt und seine Nadel. Die wirkliche Schönheit der Weberei jedoch wird erst am Ende offenbar, wenn man das Werk herumdreht. Dann also erscheint vor unseren Augen ein Bild, welches Gott alleine kannte und dessen Gestalt und Herrlichkeit wir nicht erahnen konnten. Das Vertrauen auf diese Zukunft, die schon am Werke ist, ist der Antrieb des spirituellen Lebens.“
Diese Beschreibung hat mich wirklich angesprochen, diese Überzeugung dass es einfach unsere Möglichkeiten übertrifft das Gesamtwerk zu betrachten, dass wir Schritt um Schritt vorangehen müssen, unsere Freuden und unser Leid leben und auch akzeptieren müssen, da alles zu dem Gesamtbild unseres Lebens gehört welches noch im Aufbau ist.
Viele weitere Ideen dieser Art durchqueren den Roman, und haben mich ebenso berührt.
Und dennoch, wie ich schon sagte, dennoch gab es Momente in denen mich andere Ideen einfach weniger festhielten. So hat zum Beispiel das Kapitel der Astrologie kaum mein Interesse geweckt. Ich weiß, dass es viele begeisterte Astrologieanhänge gibt, aber ich gehöre nicht dazu, ich glaube nicht daran und daher haben diese Ausführungen des Buches meine Neugier nicht weiter geweckt. Das sind dann Seiten, die mir persönlich recht gleichgültig waren.
Noch andere Ausführungen waren ganz einfach etwas langweilig, vielleicht weil es um Dinge ging, die ich zuvor schon mehrfach selbst studiert hatte oder für die ich mich schon zuvor interessiert hatte (wie zum Beispiel Platon oder Aristoteles, die Unterschiede ihrer Theorien, die ich in drei verschiedenen Fächern erkunden musste, wie zum Beispiel damals im Lateinunterricht). Anderen Lesern wird es vielleicht anders ergehen, ich bin überzeugt dass jeder hier Textpassagen findet, die für ihn einfache Wiederholungen sind.
Dies ist ein recht ehrgeiziger Roman, der versucht Abenteuer und tiefere Überlegungen zu vereinen; ich denke, es ist ihm bis zu einem gewissen Punkt tatsächlich gelungen.
Vielleicht war es etwas zu vollgepackt? Oder manchmal zu genau, um in einen „Abenteuer-Roman“ zu passen?
Was uns zum nächsten Punkt führt:
- Der Plot
Der Plot selbst ist spannend. Ein junger Mann erlebt innerhalb von einem Jahrzehnt unglaubliche Abenteuer, unendlich viele Dinge, er reist so weit und viel, er begegnet so vielen Kulturen.
Dennoch, wenn man alle Passagen, die „philosophische“ Gespräche beinhalten, einfach streicht, dann handelt es sich hier nur noch um einen Roman von vielleicht zweihundert Seiten (dies ist eine vage Schätzung meinerseits), und so verstehen Sie also sofort, wo das Problem mit dem eigentlichen Plot liegt: Er ist zu einfach. Giovanni reist, studiert, wird ein in Venedig begehrter Astrologe, muss dann auf eine Galeere bevor er Mönch wird, dann Eremit, schließlich Sklave … dies alles innerhalb von (ungefähr) zweihundert Seiten – nein, der Plot kann nicht besonders ausgefeilt sein, die Kulturen, denen wir begegnen, bleiben verschwommene Bilder, wir haben einfach keine Zeit uns hier einzuleben.
Dies ist auch einer der Gründe warum ich diesen Roman nicht gerne in die „historischen Romane“ einordne.
Die Wahl des Autors war ganz klar, die innere Entwicklung des Romanhelden zu bevorzugen, auch wenn er ihn die erstaunlichsten Situationen erleben lässt.
Es wäre vielleicht interessant gewesen, Giovannis Reisen etwas einzuschränken und so den Kulturen, denen man begegnet, mehr Platz zu lassen?
- Die Liebe
Zu Beginn des Buches träumen wir von einer wundervollen Liebesgeschichte, Reisen und Leiden, ertragen nur für die Liebe. Und ja, zu Beginn glaubte ich auch daran! Als der junge Mann, nachdem er sein Gedächtnis verloren hat, Fresken der Madonna malt, mit den sanften Gesichtszügen der Elena wie er sie damals sah, als sein Blick zum allerersten Mal auf sie fiel, ja, das war rührend und auch vielversprechend. Doch leider wurde ich stark enttäuscht. Nicht einmal hatte ich Tränen in den Augen, nicht einmal ein klitzekleines Stäubchen (ich weine sehr leicht wenn ich Liebesgeschichten lese, selbst in vollkommen unpassenden Büchern, ich bin in der Hinsicht ein wahrer Springbrunnen).
Schlussendlich hat mich diese Liebesgeschichte überhaupt gar nicht überzeugt. Alle das Zögern, die Zweifel, die Träume, all das ist nicht wie geplant im Ziel angekommen. Nein, die sentimentale Seite hat mich wirklich nicht weich werden lassen. Und das hat mir wirklich gefehlt.
Zu guter Letzt ein paar Worte zum Schreibstil selbst. Er ist schwer einzuschätzen, denn auf der einen Seite gelingt es dem Autor seine Ideen und Gedanken mit großer Klarheit darzulegen, was wirklich beeindruckend ist, denn so kann man den philosophischen Konzepten leicht folgen. Das war mehr als gelungen.
Doch auf der anderen Seite, sowie Frédéric Lenoir sich mit der Handlung pur befasst, wird sein Stil zu neutral.
Insgesamt kann ich nichts Negatives sagen, es schien alles zu passen und de Lektüre war wirklich angenehm.
Wie sie sehen, kann dieses Buch einem nicht gleichgültig sein. Es ist ein intelligenter Roman, der uns die innere Entwicklung eines Mannes zeigt.
Und dennoch hat er mich ein wenig unbefriedigt gelassen.
Ich glaube, er war ein wenig zu ambitioniert und die Mischung zu unausgewogen, denn der „Roman-Anteil“ verliert sich ein wenig in den mystischen Überlegungen – die, ich möchte es noch einmal unterstreichen, wirklich überzeugend und fesselnd sind. Es ist nur einfach die Balance, die sich etwas zu sehr auf die eine Seite beugt.
Eine letzte Frage liegt Ihnen doch sicher auf der Zunge: Woher kommt der Titel (sei es der Originaltitel, „L’Oracle della Luna“, oder auch der deutsche „Das Orakel der Heilerin“). Nun dieser Titel bezieht sich auf eine Wahrsagung die dem jungen Giovanni zu Beginn des Buches von einer „Heilerin“ (eher einer Hexe) namens Luna gemacht wird und die ihn durch das gesamte Buch hindurch verfolgt.
Aber auch hier wäre es wohl gelungener gewesen, wenn diese Wahrsagungen etwas „beunruhigender“ gewesen wären; leider erinnert sich Giovanni von Zeit zu Zeit daran, doch der wirkliche Einfluss auf den Roman bleibt sehr gering.
Ich kann mir vorstellen dass die Handlung an Tiefe gewonnen hätte, wenn man den Einfluss des Orakels auf Giovannis Leben etwas hervorgehoben hätte.
Meine abschließenden Worte (wenn ich schon einmal welche anbiete, dann aber auch pompös angesagt):
Was ich dem Buch am meisten vorwerfe ist wohl, dass der Autor keine Wahl getroffen hat, zumindest keine klare: Handelt es sich hier um ein Buch das zum Nachdenken anregen soll (ja, sicherlich), um einen historischen Roman (hmm?? Dann ist er aber sehr durchschnittlich) oder gar um einen Liebesroman (dann wäre er allerdings misslungen)? Diese Wahl hätte klarer sein sollen, dieser Entschluss hätte schon beim Verfassen des Buches erfolgen sollen, was mit Sicherheit dieses Gefühl der Unabgeschlossenheit vermieden hätte, welches einem bleibt, und dem Leser ein absolut großartiges Buch beschieden!
Auf der Rückseite des Buches (zumindest meiner Ausgabe) wird eine Kritik zitiert (die der Zeitschrift „Paris Match“), welche von einem „Historisch-religiösen-Thriller“ redet, dessen „Handlung sehr gut aufgebaut ist“ und dessen „Liebesgeschichte den Leser in Atem hält…“: Nun, für mich beschreibt das genau, was dieses Buch nicht ist!! Ob wir wohl denselben Roman gelesen haben?
Auf jeden Fall bin ich mir sicher, dass jeder in diesem Buch Aspekte findet, die seine Aufmerksamkeit erregen und ihn zum Nachdenken bewegen werden.
Meine Bewertung kann für ein Buch, in dem so viele Bemühungen stecken und welches teilweise so gelungen ist recht hart wirken.
Aber ich denke, ich habe sie ausreichend erklärt.
Auf jeden Fall bin ich wirklich froh, es gelesen zu haben, denn „Das Orakel der Heilerin“ hat mir zweifellos gefallen.
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