Derek Nikitas – Scheiterhaufen
Titre original: Pyres
Meine Bewertung: 8/10
„Scheiterhaufen“ ist Derek Nikitas erster Roman – und er ist gelungen! Dieses düstere Buch ist so packend, dass es fast unmöglich ist es aus der Hand zu legen wenn man einmal in der Handlung ist.
Die Handlung selbst ist einfach, fast vorhersehbar, und überrascht uns nicht wirklich. Das klingt jetzt recht unlogisch, und doch… die Spannung baut sich nach und nach auf und erlaubt es uns nicht, das Buch abzulegen.
Der Funke der ersten Seiten verwandelt sich in einen richtigen „Scheiterhaufen“ (ja, ok, ich weiss, das war jetzt ein richtig dummes Wortspiel aber mir ist nichts besseres eingefallen).
Zum Plot:
Dies ist die Geschichte der jungen Lucia Moberg, genannt Lou, einige Tage vor ihrem sechzehnten Geburtstag. Lou ist eine etwas rebellische Jugendliche, die jedoch eine recht glückliche und beschützte Kindheit hatte. Eines Tages begleitet sie ihren Vater, einen Literaturprofessor, zu einem Kaufzentrum – und sieht, wie er vor ihren Augen erschossen wird.
Doch dies ist erst der Anfang von Lous Höllenritt: Kurz nach dem Tod ihres Vaters versucht ihre Mutter sich das Leben zu nehmen. Sie überlebt, hat aber das Gedächtnis verloren. Sie hat die letzten fünfzehn Jahre ihres Lebens einfach ausgelöscht, kurz, das ganze Leben ihrer Tochter Lucia – die jetzt wirklich sehr alleine ist. Von hier an folgen sich die Ereignisse unaufhaltbar, es wird immer auswegloser und auch immer brutaler.
Ein erstaunlich sensibler Roman:
Was aus diesem Buch einen wirklich guten Roman macht, das ist diese Feinfühligkeit des Autors, die man in der Schrift spürt. Er versetzt sich in seine Romanfiguren hinein, beschreibt jede mit Sorgfalt und vermag es die Stimmung des Romans vollkommen zu verändern sobald wir den Gesichtspunkt wechseln.
Denn Derek Nikitas erzählt diese Geschichte aus der Sicht von drei Personen: Lou, Tanya (die Frau eines Mannes der mit dem Mord an Lous Vater in Verbindung steht) und Kommissarin Greta Hurd, die mit diesem Fall betraut wurde.
Diese Perspektivenwechsel werden geschickt benutzt und tragen zu der steigenden Spannung bei.
Zunächst erleben wir diese Ereignisse durch die Augen der jungen Lou:
Die Jugendliche, kurzsichtig wie ein Maulwurf, ist gerade erst aus der Kindheit herausgewachsen und versucht sich, trotz der schrecklichen Geschehnisse, an ein normales Leben zu klammern – aber man lässt dies einfach nicht zu. Denn ihr Leben wird nicht nur durch den Trauerfall um ihren Vater vollkommen durcheinandergeworfen, sondern wird auch von dem gewaltigen Strudel dieses Falls unter Wasser gezogen.
Wenn er den Gesichtspunkt von Lou einnimmt, dann webt der Autor geschickt die schwedische Mystik in die Handlung ein; er nutzt dies um eine seltsame, fast phantastische Stimmung au schaffen. Dadurch können wir uns leichter mit dem Teenager identifizieren, denn man hat den Eindruck wieder in ihrem Alter zu sein, damals, als manche Dinge noch möglich, ja sogar glaubhaft erschienen. Der Schatten der skandinavischen Legende, welche Lucias Kindheit gewiegt haben, prägen die Erfahrungen des jungen Mädchens und verfärben ihre Auffassung der Dinge, die dadurch eine ganz eigene Farbe annehmen.
Ich hatte glücklicherweise selbst eine „skandinavische-Legenden-Phase“, wodurch ich manche Anspielungen verstehen konnte, aber ich kann Sie beruhigen, es ist vollkommen unnötig irgendeine Kenntnis auf diesem Gebiet mitzubringen um davon zu profitieren!
Parallel hierzu beobachten wir die Handlung auch durch Tanyas Augen.
Tanya ist eine junge Frau von zwanzig Jahren, sie ist Masons Freundin, ein Biker, Mitglied einer Gang die auf die auf irgendeine Weise mit dem Mord an Lous Vater zu tun hat. Tanya ist mit dem Kind von Mason schwanger.
Vor allem aber lebt sie am Rande des Abrunds. Ihr Leben war ein einziges Desaster. Tanya ist als Opfer geboren, aber dennoch zu allem bereit um zu überleben. Sie erträgt die Wünsche Masons, ein gewalttätiger und kompromissloser Mann, sie gehorcht ihm, führt seinen Willen aus und träumt heimlich von Revolte.
Wenn wir ihren Standpunkt einnehmen, dann betreten wir eine Welt die sehr anders ist, als die der Lou: Hier, in dieser Bikerwelt entdecken wir eine Existenz voller Leid und Gewalt.
Es ist auch diese Gewalt, die von der Bikergang ausgeht, die zu sehr harten Szenen führt, doch der Autor kontrolliert seine Feder perfekt und vermag es uns die teilweise extreme Brutalität dieser Männer, denen das menschliche Leben nichts wert ist, zu beschreiben ohne dass wir uns selbst angegriffen fühlen – aber dennoch von den Bildern die unweigerlich vor unserem inneren Auge aufsteigen geschockt sind.
Zu guter Letzt begleiten wir auch Greta Hurd, die diesen Fall leitet.
Mit ihr kehren wir in die „normale“ Welt zurück, in unsere, gewissermaßen: Wir verlassen die Welt des Chaos und der Fantasie der jungen Lou und entfernen uns auch von der extremen Realität der Tanya um uns in bekannteren Gefilden zu bewegen.
Greta ist eine Frau mit ihren eigenen persönlichen Problemen, die sie parallel zu ihrer Arbeit zu meistern sucht. Sie ist eine „normale“ Frau. Und dennoch scheint sie sich verdächtig tief in diese Akte zu vertiefen… Man weiss also nicht, was man von ihr denken soll.
Insgesamt ist „Scheiterhaufen“ die Geschichte eines Auftragsmordes, die zu der Konfrontation von verschiedenen Welten führt, und deren unweigerliches Ergebnis nur eine Explosion sein kann. Und gerade diejenigen, die uns ihre Augen leihen damit wir die Ereignisse verfolgen können, sind die, die am allerwenigsten Einfluss auf den Ablauf der Geschehnisse haben und die einfach nur versuchen darauf zu reagieren und zu überleben.
Ja, ganz klar, mir hat dieser Roman gefallen. Ich konnte ihn nicht loslassen und sobald ich auch nur eine Minute Zeit hatte, wendete ich schon wieder seine Seiten.
Der einzige Punkt, den ich beanstanden kann ist eigentlich vollkommen nebensächlich und gilt jetzt auch nur für Frankreich: Das Buch hätte eine korrekte Korrektur verdient (hihi, Entschuldigung, aber „korrekte Korrektur“, ich rede manchmal einen Unsinn…).
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