Bernard Minier – Schwarzer Schmetterling
Originaltitel: Glacé
Meine Bewertung: 8/10
Ein erster Roman, der diesen Schriftsteller direkt auf die Liste der Autoren katapultiert, deren Name man sich merken sollte!
Ja, natürlich beinhaltet er ein paar Ungeschicklichkeiten die wohl der Unerfahrenheit zuzuschreiben sind aber man muss ganz offen sagen, dass die Stimmung dieses Romans einfach EISIG ist (der Originaltitel, „Glacé“, bedeutet auch soviel wie „eisig“). Ich fand die ersten 4/5tel des Romans einfach UMWERFEND.
Es ist hier nicht nur der Plot, der einen mitreißt, sondern die Grundlage des Romans selbst die sehr standfest ist, man spürt, dass der Autor sich gut über die Polizeiarbeit und deren Verfahren erkundigt hat, ja sogar die psychischen Probleme.
Aber stopp, soweit sind wir ja noch gar nicht!
Erst einmal ein paar Worte zur Handlung:
Der Plot:
In der kleinen Stadt Saint-Martin, die sich in den französischen Pyrenäen befindet, wird Kommandant Servaz zu einem doch sehr erstaunlichen Tatort eines Verbrechens gerufen: Ganz oben, am Ende der Seilbahn die zu einem Wasserwerk führt wurde nun, mitten im Monat Dezember, ein Pferd gefunden, ein Pferd das an einer der Stützsäulen hängt, tot, gehäutet und kopflos.
Der Kommandant regt sich zunächst darüber auf wegen eines solchen „Verbrechens“ gerufen zu werden das ja gar keines ist, doch sehr schnell macht ihn die Einzigartigkeit dieses makabren Bildes neugierig.
Das Pferd, das hier dem Verbrecher zum Opfer viel, war ein Vollblutpferd welches überwacht, gehegt und gepflegt wurde. Das Team des Kommandanten kann nicht verstehen, wie die Täter es vollbracht haben dieses Pferd zu töten, aus seinem Gestüt zu holen, es in die Seilbahn zu verfrachten um es dann in der eisigen Dezemberluft oben an einen Pfeiler zu hängen und das ohne dass irgendjemand etwas bemerkt!
Zudem ist diese Tat so außergewöhnlich, dass man nur das Schlimmste erwarten kann…
Und das Schlimmste trifft auch ein.
Ein Mord, ein wirklicher, und genauso widerwärtig! Ein Mann, ein Apotheker aus Saint-Martin, wird erhängt unter einer Stahlbrücke aufgefunden, nackt, nur mit einem Umhang und Stiefeln bekleidet, die doch sehr an Pferdehaut erinnern.
Wer ist der Täter, der so viel Wert auf die Inszenierung legt? Die Einheit des Kommandanten, welche außer dem Lieutenant noch aus dem Gendarmen Ziegler besteht, steht vor zu vielen Spuren um sich leicht auf eine Piste konzentrieren zu können.
Die eindeutigste Spur ist zugleich die, die in eine eindeutige Sackgasse führt:
Am Tatort wurde DNA eines registrierten Mannes aufgefunden, das von Julian Hirtmann. Damit scheint der Fall gelöst zu sein, besonders, da dieser Mann bekanntlich zu den gefährlichsten Psychopaten Europas gehört. Doch Hirtmann ist im Hochsicherheitstrakt des Instituts Wargnier eingeschlossen. Auch wenn sich dieses Institut genau hier, in diesem Tal der Pyrenäen befindet ist es dennoch vollkommen ausgeschlossen, dass er geflohen ist – um danach wieder in aller Ruhe in seine streng überwachte Zelle zurückzukehren
Die Polizei steht vor einem Rätsel. Zu viele Spuren, ja beinahe zu viele Indizien, und hinter alledem verbirgt sich ein rasender Mörder der seine Taten scheinbar seit Jahren genauestens plant!
Vielleicht kann die junge Praktikantin der Psychiatrie die soeben ihren Posten im Institut Wargnier eingenommen hat etwas neues entdecken?
Schaudernder Nervenkitzel ist in dieser bemerkenswerten Stimmung im Herzen dieser packenden Handlung sicher!
Der Autor vermag es dem Leser diese eisige Stimmung zu vermitteln, die ja schon im (Original)Titel dieses exzellenten Romans erwähnt wird. Es ist hier in den Pyrenäen, mitten im Dezember nicht nur körperlich kalt, nein, die Verbrechen die einander folgen lassen einen noch tiefer erzittern!
Dieses Gefühl der Kälte wird noch stärker wenn man das Wargnier-Institut betritt, das so kahl ist, in dem alle Sinne geschärft erscheinen, ein bedrückender Ort wo die größten Soziopathen in erzwungener Abgeschiedenheit leben.
Diese erschreckende Atmosphäre erreicht ihren Höhepunkt als man erkennt, dass das Institut nicht nur ein Ort ist an dem beunruhigende Dinge geschehen, sondern dass das gesamte Tal ein Ort ist an dem die Geheimnisse schwer auf allem lasten!
Ein erster Roman, in dem sich der Autor als Meister der Stimmung positioniert!
Weitere Aspekte der Handlung sind ebenso angenehm und spannend.
So folgen wir den Ermittlern bei ihren Recherchen – und die Verfahren scheinen auf soliden Kenntnissen des Autoren zu beruhen. Wir beobachten wie die junge Psychiaterin in der psychiatrischen Anstalt ein feindliches Gebiet entdeckt, wir versuchen zu verstehen und kommen gemeinsam mit den Untersuchungen Schritt um Schritt voran.
Dieser Roman, der wie ein Kriminalroman aufgebaut ist, verwandelt sich unaufhaltsam in einen Thriller, denn er verbirgt hier, tief im Tal, sehr viel lehr als nur einen Serienmörder…
Die Romanfiguren werden gut beschrieben ohne sonderlich tiefgründig zu sein. Sie entsprechen genau dem, was benötigt wird. Unter diesen Hauptcharakteren haben wir allerdings Hirtmann, der nun wirklich furchteinflößend ist, man schafft es nicht ihn einzuschätzen, man versteht nicht wie er in all dies verwickelt sein kann ohne es zu sein, und wie er irgendwie eingreifen könnte. Die Intelligenz dieses Soziopathen ist einfach erschreckend.
Es gibt her dennoch ein paar Ungeschicklichkeiten, die man allerdings leicht verzeihen kann weil es sich hier um einen ersten Roman handelt der sich zudem noch über beinahe 730 Seiten hinzieht (im Taschenbuchformat, französische Ausgabe).
Zunächst einmal haben mich einige treffende Bemerkungen die in die Zeilen eingeflochten wurden sehr positiv angesprochen haben (ich lasse Sie das selbst entdecken, aber den Blick, den Bernard Minier auf die Gesellschaft wird, gefällt mir sehr), wie ich auch all diese kleinen Details die nicht zusammenpassen sehr gelungen fand, von denen immer wieder welche auftauchen. Dennoch habe ich dann doch die Stirn gerunzelt (trotz der drohenden Falten-Gefahr), wenn ich zum Beispiel auf Ausdrücke traf die eine fast kindische Bemühung offenbaren sich durch den Stil abzuheben.
Ich gebe Ihnen hier ein paar Beispiele, um diese stilistischen Holpereien zu untermalen, diese Suche nach Originalität die nicht zum Ziel kommt; ich mochte hier betonen, dass es sich nicht um den allgemeinen Stil des Romans handelt, dass eben gerade diese Momente durch ihre Unreife überraschen:
Es handelt sich hier um wörtliche Übersetzungen des Textes, damit Sie sich eine Vorstellung machen können. Die deutsche Version hat dies eventuell ausgeglichen oder einfach anders gelöst:
„Er bemerkte ein Detail das ihn wie ein eine Spritze traf“
„…die Unruhe durchbohrte ihn wie ein Nagel den Schuh…“
„… ein langandauernder Adrenalinstoß durchfuhr ihn von einer Seite zur anderen, wie eine Gräte die sich in den Rachen einer Katze treibt“.
Weiter Ausdrücke sind dann noch zu entdecken…
Glücklicherweise werden diese Ausdrücke, die gefährlich mit dem Lächerlichen flirten, von kleinen, sehr treffenden Beobachtungen ausgeglichen! Und HIER drückt sich der Autor aus, das spürt man, hier kommt es ihm auf natürliche Weise.
Weitere Stolpersteine schleichen sich ebenfalls in den Aufbau selbst des Romans:
Allgemein fehlt es dem Ablauf ein wenig an Flüssigkeit, die Wechsel der Erzählerperspektive sind teilweise ungeschickt. Die Puzzleteile passen nicht leicht, könnte man sagen. Aber das liegt, denke ich einmal, an der fehlenden Erfahrung.
Hier jedenfalls spürt man diesen schwachen Punkt der Struktur besonders wenn der Autor sich bemüht die Anspannung oder auch nur die Spannung durch einen Parallelismus der Handlungsstränge zu intensivieren (vor allem gegen Ende des Romans). Also, das geht vollkommen daneben!
Als zum Beispiel der stellvertretende Kommandant, Espérandieu, einer Spur folgt die eventuell ausschlaggebend ist, so erinnert die Tatsache den zentralen Punkt dieser Spur zu verschweigen mehr an den Versuch eines Jugendlichen, Spannung aufzubauen. Es funktioniert nicht.
Zum Ende hin, besonders auf den letzten 60 Seiten, wird diese „simultane Aktion“-Tour einfach nur noch anstrengend.
Wenn der Autor auch instinktiv den Aufbau einer angespannten Atmosphäre beherrscht, so lassen seine Versuche Action einzubauen das ganze schlaff zusammensinken, wie ei Soufflé das man zu schnell aus dem Ofen gezogen hätte. Statt sich stolz in all ihrem Glanz zu präsentieren geht der Struktur hier die Luft aus.
Bernard Minier hat ein enormes Talent für diese Art des Romans, für eine tiefgreifende Stimmung die er schon in den ersten Linien vermitteln kann, er besitzt aber nicht dieselbe natürliche Gabe um Aktion zu beschreiben!
Ganz ehrlich: Man hätte die letzten 100 Seiten in zehn sagen wir fünfzehn Seiten zusammenfassen können. Nein, sollen. Dann hätte ich das Buch mit einer tiefen Befriedigung geschlossen statt erleichtert aufzuatmen, was ganz klar den allgemeinen Eindruck beeinträchtigt.
Ja, das Ende ist laaaaang (voller Aktion, aber laaaaaaaaaaaang) – ein Finale das von einem überflüssigen Show-Down vermiest wurde.
Selbst der Epilog ist ohne Interesse, man möchte dann nur noch zum Ende kommen.
Schade, sehr sehr schade, denn mit hundert Seiten weniger hätten meine Augen auf beim Schließen geleuchtet… und dieser Beitrag hätte mit einer noch besseren Bewertung begonnen, das ist sicher!
Denn für einen ersten Roman ist dies wirklich ein Meisterwerk! Und, wie gesagt, 4/5tel des Buches sind ganz einfach gelungen!
Ich hoffe also, dass Bernard Minier in seinen zukünftigen Romanen seine Natur beibehält (eine etwas zynische Natur und ein Talent bei dem Leser eine wirkliche Spannung zu erzeugen) und die sicher künstlich erlernten „Techniken“ vergisst (es ist nicht nötig irgendwelche Stilfiguren einzubauen, es ist nicht nötig zwanghaft „Action“ einzuführen)!
Ich freue mich schon auf seinen nächsten Roman, soviel ist sicher!!
Zwischenzeitlich hat Bernard Minier noch weitere Romane veröffentlicht :
- Schwarzer Schmetterling (Glacé)
- Kindertotenlied (Le Cercle)
- Wolfsbeute (N’éteins pas la lumière)
- Une putain d’histoire (noch nicht ins Deutsche übertragen)
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